Ehrlich kocht am längsten >
< Köstliche Schätze aus dem Land im Gebirge

Ab ins Gartl

Urban Gardening


In Großstädten ist Urban Gardening das trendige Gebot der Stunde. Die Selbermacher erobern die Felder. Oft als „Hippie-Chic“ belächelt, ist es vielen ein gesellschaftspolitisches Anliegen. Oder zumindest ertragreiches Hobby. Auch in Tirol.

Die uncharmante Peripherie am Innsbrucker Langen Weg verwandelt sich urplötzlich in eine blühende Oase. Das ist das „Innsgartl“, der erste Ableger des Vereins Freipflanzen. Der Gemeinschaftsgarten umfasst knapp 5000 Quadratmeter, die Blumen und Kräuter am Anfang sind ein echter Blickfang. Dahinter wächst und gedeiht Verschiedenstes, sauber aufgeteilt in Gemeinschaftsfläche und Privatbeete. Auch die Betreiber des Restaurants Wilderin und von Stefans Brotmanufaktur haben hier ihren Garten, der von oben wie der Union Jack, die britische Flagge, aussieht. Ein kuppelförmiges Gewächshaus, Geräteschuppen mit vielen Utensilien, Griller, Bänke und sogar ein Dixi-Klo stehen der Community zur Verfügung. Und ab 39 Euro Vereinsmitgliedschaft ist man schon dabei. Privatbeete kosten extra. „Die Beete sind aktuell alle vergeben, 45 Leute sind auf der Warteliste“, erzählt Christoph, Koordinator und Mann für alles. Er betreut auch andere Projekte rund um Innsbruck und hat über die Jahre ein beachtliches Know-how gesammelt. „Der Boden hier ist sehr gut und nährstoffreich“ erklärt er, und pflückt eine Zuckererbse, die einfach sofort vernascht werden muss. „Die hier könnten wir langsam ernten. Durch unsere Ampelsystem-Stöcke weiß jeder, wann im Gemeinschaftsgarten geklaubt werden kann. Die Zuckererbsen werde ich jetzt grün markieren, anderes Gemüse, das noch nicht so weit ist, ist durch rote Stöckchen gekennzeichnet.“
Die meisten Gemeinschaftsgärtner wohnen in der Nachbarschaft. In den Wohnblöcken würde man sich vielleicht nicht so oft begegnen, aber im Gartl finden sich rasch Gemeinsamkeiten. „Uns ist vor allem die soziale Komponente dieses Projekts ein großes Anliegen: Man trifft sich, tauscht sich aus,“ erzählt Christoph. Die alltäglichen Arbeiten gehen als Gruppe leichter von der Hand. Schade, dass das Ganze schon ein Ablaufdatum haben könnte. In den kommenden Jahren wird hier wohl gebaut werden, der Wohnraum ist in Innsbruck bekanntlich knapp. „Wir freuen uns, dass uns die Stadt unterstützt, selbst wenn das Innsgartl zeitlich befristet ist. Aber wer weiß, vielleicht ist ja nach Fertigstellung der Wohnhäuser auch Platz für ein Nebeneinander. Wir konzentrieren uns lieber auf das Jetzt“, sagt Christoph. Aktuell läuft die Sondierung für eine Kooperation mit dem Flüchtlingsheim in der Trientl­gasse. Es gibt also genug zu tun.
Haben wir es beim „Urban Gardening“ mit einer reinen Modeerscheinung zu tun? „Nein“, findet Christoph. „Manche Projekte wurden schon vor Jahren initiiert, auch in ländlichen Gebieten, und die Nachfrage steigt. In diesem Zusammenhang ist auch eine gesellschaftspolitische Diskussion möglich: Sich Gedanken über die eigene Ernährungsweise machen, schauen, was nachhaltig, vernünftig und nicht zuletzt rentabel wäre.“ In der Tat sind Konsumenten mit der ganzjährigen Verfügbarkeit von Produkten in Supermärkten ziemlich verwöhnt, ein Bewusstsein für den Herstellungs- und Lieferaufwand bleibt dabei oft auf der Strecke.
Auch Hansjörg ist seit heuer Gemeinschaftsgärtner. Mit einem Kumpel teilt er beim „Waldhüttl“ am Mentlberg ein sogenanntes Tandembeet und bepflanzt zwei mal vier Meter Garten mit Salat, Zucchini, Knoblauch und einigem mehr. „Ich bin gerne draußen und finde die Lage hier schön, es gibt Hennen und Enten, die Leute sind nett. Ich freu‘ mich auch auf eines der Roma-Feste, die sie hier regelmäßig veranstalten“, erzählt der 37-Jährige. Auf seinem Balkon wurde es mit Kräutern und Tomaten allmählich eng, so entschied er sich für die Gartengemeinschaft. Der Arbeitsaufwand sei unterschiedlich: „Je nach Wetter. Meine Sachen mussten bis jetzt nur wachsen, Regen sei Dank musste ich nicht gießen. Jetzt steht dann bald meine Zucchini-Ernte an“, lacht er. Die Waldhüttl-Gärtner haben oft unterschiedliche Herangehensweisen. Hansjörg hört ihnen gerne zu. Die Selbstversorgeridee scheint ihn zu faszinieren: „Für mich ist Gärtnern heuer einfach ein schönes Hobby, außerdem schmeckt der eigene Salat schon irgendwie besser“, verrät er.

GÄRTNERISCH, ÖKOLOGISCH, SOZIAL
Den Überblick über gut 22 Gemeinschaftsgärten in ganz Tirol hat Petra Obojes-Signitzer vom Tiroler Bildungsforum. Sie arbeitet an der Vernetzung aller Projekte, gemeinsamer Webauftritt inklusive, und weiß: „Das Interesse nimmt zu, es geht um Selbstversorgung, aber auch um den Garten als Wohlfühlfaktor. Die Tätigkeiten draußen sind vor allem mit Kindern spannend, genauso wie die Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten. Wenn sichtbar wird, wie man gewisse Dinge selber in die Hand nimmt, ist es ziemlich befriedigend.“ Das Gemüse Marke Eigenanbau macht zumindest ein kleines Bisschen unabhängig von der Lebensmittelindustrie. Viele Menschen wollen dieser nicht ganz ausgeliefert sein, siehe Lebensmittelskandale. Außerdem macht die Arbeit in der Gemeinschaft auch Spaß, das kann Petra aus langjähriger Erfahrung bestätigen. „Wir wollen Interessenten unterstützen und fachlich gut begleiten, ebenso Erfahrungen von Pächtern sammeln und im Sinne der Transparenz weitervermitteln, speziell wenn Anrainer nicht ganz überzeugt sind.“ Darüber hinaus steckt in einem Gemeinschaftsgarten viel Lernpotenzial. Hier treffen sich die unterschiedlichsten Typen. „Ich kenne beispielsweise eine ältere türkische Hausfrau, die viele Tipps zu Zubereitung und Konservierung von Gemüse auf Lager hat“, erzählt Petra. Dieser Informationsaustausch ist eine Form von Wissensbewahrung, die auch Wertschätzung verdient. „Mich begeistert auch eine wieder auflebende Schenkkultur“, verrät Petra. „Die eigene Ernte macht stolz, da wird man bald zum Kosten eingeladen.“ Klingt wunderbar. Zu gut, um wahr zu sein? „Natürlich entstehen auch Konflikte, wenn die unterschiedlichsten Gruppen aufeinandertreffen“, sagt die junge Mutter. „Unsere Aufgabe ist es aber, Probleme ernstzunehmen und nach Lösungen zu suchen. Schließlich ist ein solcher Mikrokosmos auch ein soziales Lernfeld.“ Möge es gedeihen.Marianna Kastlunger