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Ein Plädoyer für die Region

Interview


Warum regionale Lebensmittel im Aufwind sind, Bio nicht zwangsläufig besser ist und was die Tiroler Landwirtschaft leisten kann, weiß Agrarmarketing-Geschäftsführer Wendelin Juen.


Ein gewisser Trend hin zu regionalen Lebensmitteln ist – sowohl in der Gastronomie als auch beim Endverbraucher – nicht zu übersehen. Woher rührt diese Entwicklung?
Wendelin Juen: 
  Erfreulicherweise ist das Bewusstsein für Regionalität in den letzten Jahren gestiegen. Einer der Gründe dafür ist die Nachhaltigkeit, das Bewusstsein, dass die Produkte, die in der Region produziert werden, dort auch Arbeitsplätze schaffen, sei es im Fleisch-, Brot- und Milchbereich oder bei Obst und Gemüse. Der Konsument kann auch transparent nachvollziehen, woher das Produkt kommt und hat eine hohe Lebensmittelsicherheit. Dieses Thema wurde vor allem durch die regelmäßigen Lebensmittelskandale der letzten Jahre aktuell.  Diese Skandale haben ihre Wurzel in der Globalisierung mit ihren undurchdringlichen Strukturen, wo Kostenoptimierung oberstes Gebot ist. Seit der Finanzkrise ist Lebensmittelversorgung aus der Region auch ein Thema, auch um im globalen Krisenfall eine bestimmte Eigenversorgung zu haben.

Europa und die USA basteln am umstrittenen transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP, Konsumenten fürchten sich vorm „Chlorhuhn“. Wie sehen Sie das geplante Abkommen?
Juen:
Wir haben mit TTIP keine Freude und halten das für schlecht insofern, dass dadurch der Lebensmittelstandard nach unten geschraubt wird. Die Lebensmittel in den USA sind zwar billiger, aber qualitativ schlechter. Der Verzehr schlechter Lebensmittel hat negative Konsequenzen, etwa für das Herz-Kreislauf-System. Diabetes, Bluthochdruck und so weiter entstehen vielfach durch schlechte Ernährung. Qualitativ schlechte Lebensmittel verursachen volkswirtschaftlich enorme Kosten. Bei Nahrungsmitteln gibt es einfach keine Kostenwahrheit, weil die Folgekosten völlig unberücksichtigt bleiben. Hochverarbeitete Industrienahrung mit allerlei Zusätzen belastet den Körper stärker als naturbelassenere Lebensmittel. Es braucht bei TTIP einen transparenten gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess, sonst machen die Lobbyisten hinter verschlossenen Türen das Rennen.

Gentechnik und Chlorhuhn haben in Österreich generell einen schweren Stand. Ist das ein Indiz dafür, dass es schon ein gewisses Qualitätsbewusstsein gibt?
Juen:
  Ja, schon. Ich glaube aber dennoch, das der Gesetzgeber da und dort reagieren muss. In schwedischen Schulen ist es beispielsweise ein absolutes No-Go, Automaten mit Limonaden aufzustellen. Es geht um eine bewusste Entscheidung, das zu erlauben oder eben nicht. Die Fast-Food-Generation ernährt sich zu ungesund und es ist für die kleinen Produzenten schwierig, gegen multinationale Konzerne mit ihren riesigen Werbebudgets anzukommen.

Die Tiroler Landwirtschaft ist klein strukturiert. Wo liegen die Stärken dieser Struktur?
Juen:
  Der Konsument schätzt die Nachhaltigkeit und Nachvollziehbarkeit dieser kleinen Strukturen zunehmend. Essen ist nicht reine Kalorienzufuhr, sondern eine Haltung und ein Gefühl.  Ob man jetzt Fast-Food zwischen Tür und Angel futtert oder sich wirklich Zeit zum bewussten Essen nimmt, macht einen Unterschied. Essen hat einen rituellen Charakter. Die Tiroler Gastronomie bietet dahingehend in einem tollen Ambiente wirklich Sensationelles.

Neben Regionalität ist auch Bio eines der großen Schlagworte der letzten Jahre. Ist Bio zwangsläufig besser?
Juen: 
Hinter Qualitätsprodukten steckt immer Knochenarbeit, sei es bei Lieferketten oder lückenloser Nachvollziehbarkeit. Für Großbetriebe ist diese Qualitätssicherung leichter, kleinere Betriebe haben dagegen einen höheren Aufwand. Das ist bei diesen ganzen Bio-Zertifizierungen ein Thema. Wir haben in Tirol sehr viele landwirtschaftliche Betriebe, die zwar Bio produzieren, aber nicht kontrolliert sind. Wer etwa nur jedes Jahr einen Jahrling oder ein Vollmilchkalb hat, für den zahlen sich die Kosten der Bio-Zertifizierung nicht aus. Der Konsument sagt auch, wenn es ein regionales Produkt ist und ich weiß, woher es kommt, brauche ich kein Bio-Siegel. Außerdem gibt es in Deutschland auch Bio-Betriebe mit tausenden von Tieren.  Insofern stellt sich immer die Frage, was man unter Bio versteht. Wenn unsere Bauern einen Grauviehalmochs, einen Jahrling oder ein Schaf auf der Alm haben, sagen die Leute, das ist Bio. Ist es aber nicht, weil nur wenige Almen zertifizierte Bio-Almen sind. Da stellt sich die Frage, ist etwas erst dann Bio, wenn es vom Gesetzgeber diesen Stempel bekommt. Die Erwartungshaltung der Konsumenten deckt sich nicht immer mit dem, was der Gesetzgeber definiert. Wenn der Konsument genau weiß, woher das Produkt kommt, dann braucht er nicht unbedingt ein Siegel.Wir setzen auf Transparenz, bei uns kann man sich die Produktionskette anschauen. Bei manchem internationalen Lebensmittelkonzern ist das ganz anders. Da bekommt der Konsument keinen Einblick und selbst die Behörden nur unter Auflagen. Wir gehen den umgekehrten Weg, es gibt bei uns Schausennereien oder Schaubauernhöfe. Wir haben eine transparente Produktion und ein perfekt aufgestelltes Kontrollsystem. Bei uns wird der hohe Standard auch kontrolliert und gelebt. Das sind Faktoren, die der Konsument zu schätzen weiß.  

In Sachen Milchprodukte und Fleisch ist Tirol gut im Rennen. Wie sieht es beim Anbau von Obst und Gemüse aus?
Juen: 
Der Obstbereich wächst langsam, aber stetig. Es kommen auch neue Kulturen wie jetzt etwa die Kirschen dazu. Der Apfel ist der Klassiker, die Zwetschke passt auch perfekt. Es gibt auch einige Beerenproduzenten. Beerenobst ist interessant und geht auch gut, davon hätten wir auch gerne mehr.Wein ist ein kleines und feines Segment, das durch die widerstandsfähigen und mehltauresistenten Sorten etwas wächst. Es geht insgesamt aber nur um ein paar Hektar und ich glaube nicht, dass da so rasch eine Null dazukommen wird. Es ist auch ein Thema, für die Weiterverarbeitung, für die Veredelung Obst anzubauen. Der Apfelsaft in der Glasflasche, der im Lebensmittelhandel gelistet ist, geht sensationell. Im Zuge dessen bietet sich auch der Anbau alter Sorten an, weil die Sortenmischung – das Miteinander von säurereichen und zuckerreichen Sorten –  das Geheimnis der Qualität dieses Apfelsafts ist. Bei der Marille hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass es – obwohl es eine schwierige Kultur ist – schon geht. Beim Gemüse haben wir in Lienz eine Produktion, dann im Unterland und stark im Großraum Innsbruck, im Oberland eher weniger. Die Gemüseproduktion und Sortenvielfalt hat in den letzten Jahren zugenommen. Mittlerweile ist das ganze Alphabet mit sechzig, siebzig verschiedenen Arten – von der Aubergine bis zur Zucchini – vertreten. Erfreulich ist, dass der Anteil an Bio-Gemüse in den letzten Jahren sehr stark gewachsen ist.  

Gibt es noch Potenzial in der landwirtschaftlichen Direktvermarktung?
Juen:
  Ja, da gibt es schon noch Potenzial.Allerdings muss man dazusagen, dass die Tiroler Landwirtschaft zu neunzig Prozent auf dem Nebenerwerb fußt. Wenn ein Nebenerwerbsbauer vermarkten auch noch muss, ist die Arbeitsbelastung dann wirklich am Limit. Die Nachfrage sowohl nach Bauernmärkten und  -läden – sowohl von der Gastronomie als auch vom Endkunden – steigt. Das sieht man auch an der Bauernkiste, der Gemüsekiste und anderen Zustelldiensten.

Die Landwirtschaft hat sich in der Vergangenheit stark auf die Milchwirtschaft konzentriert. Ist die Fleischproduktion – auch vor dem Hintergrund des Auslaufens der Milchquote – eine zukunftsträchtige Alternative?
Juen: 
Teils, teils. Wir haben zum Teil in Tirol sehr kleine, extensive Betriebe. Wenn die Bauern ihren Jahrling oder ihr Vollmilchkalb im Geschäft sehen und es dort als hochpreisiges, qualitativ hochwertiges Produkt angeboten wird, ist das ein Aha-Erlebnis für die Tiroler Bauern, das einen regelrechten Ruck auslöst.  Mit der Wertschätzung, die dem Produkt entgegengebracht wird, entsteht auch ein gewisser Stolz. Natürlich geht es auch um das Einkommen, aber auch darum, etwas Sinnvolles zu tun. Es geht – gerade auch bei der jungen Generation – nicht immer nur alles ums Geld. Bei Toni Steixner, der jetzt Saiblinge züchtet, haben sich schon Leute für die tolle Produktqualität bedankt. Eine andere Situation als in der Milchwirtschaft, wo man schauen muss, ob sich bei den Milchpreisen die Produktion überhaupt noch rechnet. Das Sterben der bäuerlichen Betriebe lässt sich durch die Hinwendung zum regionalen Produkt, die Wertschätzung und das Bewusstsein sicherlich verlangsamen. Bis vor Kurzem wäre es undenkbar gewesen, dass Bauern vom Nebenerwerb wieder in den Haupterwerb gehen. Dafür gibt es jetzt einige Beispiele.

Worum geht es in der Initiative „Bewusst Tirol“?
Juen:  Bei „Bewusst Tirol“ haben wir begonnen, gemeinsam mit 156 Partnern aus Gastronomie und Hotellerie ein Angebot zu entwickeln. Vor allem Touristen, die einen großen ökologischen Fußabdruck hinterlassen, legen zunehmend Wert auf regionale Produkte. Davon profitieren sowohl die Gastronomen als auch die heimische Landwirtschaft und nicht zuletzt die Konsumenten.
Interview: Marian Kröll