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Regionalgeniale Haubenküche

Christoph Zangerl, Tannenhof, St. Anton


Die ausgetretenen kulinarischen Pfade verlassen hat mit Christoph Zangerl ein Mann, dem kulinarische Geniestreiche durchaus zuzutrauen sind. Als der Haubenkoch vor zwei Jahren im St. Antoner Tannenhof, dem kleinsten Fünf-Sterne-Superior-Refugium Österreichs, seine Zelte aufgeschlagen hat, hat er gleichzeitig einen kulinarischen Kehraus gemacht, der nicht nur überaus ambitioniert klingt, sondern fast schon verwegen. Zangerl verzichtet nämlich bei der Umsetzung seines Konzepts einer alpinen Kreativküche konsequent auf Foie gras, Hummer und Konsorten, also gewissermaßen auf die Fixstarter der gehobenen Sterneküche. Was in der Verfolgung seines Masterplans auf den Tellern landet, reißt Gastrokritiker regelmäßig zu Begeisterungsstürmen hin und lädt zum Herunterbeten von Superlativen ein. „Wir verarbeiten regionale, alpine und saisonale Lebensmittel. Ob das nun eine Löwenzahnwurzel, ein Huchen, Hecht, Schweinsgoder oder ein Kalbsherz ist“, zählt Zangerl einige der (wieder)entdeckten heimischen Produkte auf: „Wir haben da schon einige Dinge ‚ausgegraben‘,  ich mache etwas mit getrockneten Schweinsohren, mit frittiertem Schweinebauch, mit Ei unter Bärlauch mit Steinpilzen. Rindfleisch lassen wir auch selbst reifen, wir räuchern Rinderrippen selbst, machen Blutwurst-Foccacia.“
Zu dieser Art des Kochens gehört Mut. Der Gast muss sich darauf einlassen, der Koch muss sich etwas zutrauen. Zangerl experimentiert gern mit Zubereitungsarten, gart zum Beispiel Fisch eingeschlagen in ein Jutetuch in heißer Asche. Dafür darf das verwendete Holz allerdings nicht zu harzig sein. Auch das Sous-vide-Garen, sprich im Vakuumbeutel bei Niedrigtemperatur, ist eine den Ansprüchen Zangerls genügende Zubereitungsart. In der Wintersaison hat Zangerl mit seinem Team ein 15-gängiges Menü kredenzt. Die Resonanz der Gäste sei  fast zu hundert Prozent positiv gewesen. Durch die Selbstbeschränkung auf regionale und lokale Lebensmittel macht Zangerl sich seinen Job nicht unbedingt einfacher: „Da muss man anfangen einzuwecken, zu fermentieren und einzusalzen. Früher hat man schließlich auch nichts anderes gemacht.“ Freilich nicht mit jener Kunstfertigkeit, jenem kompositorischen Gespür und Sinn für Aromen und jener Akribie, wie sie Zangerl praktiziert.Da kommt es dann schon auch einmal vor, das sich der Koch selbst mit einer neuen Kreation positiv überrascht. Ein solches Beispiel ist ein Dessert aus Rhaberber, Erbse und weißer Schokolade: „Die Süße der frischen Erbse und der weißen Schokolade mit der Säure des Rhabarber ergab ein sensationelles Geschmackserlebnis.“ Die Qualität des heimischen Fleischs sei nicht schlecht, sagt Christoph Zangerl. Eine Aussage, der ein großes Aber folgt: „Das Problem ist die vielfach ungenügende Reifung. Dafür nimmt sich kaum jemand mehr die Zeit. Außerdem sind wir mit Fleischrassen nicht gerade gesegnet.“ Es gibt also noch Luft nach oben. Wird ein Fleischsstück zu rasch vakuumiert, reift es nicht mehr nach, die Milchsäurebakterien können nicht arbeiten, der pH-Wert kann sich nicht verändern und den Geschmack des Fleischs intensivieren.
In der breiten Bevölkerung ortet Zangerl eine gewisse „schlechte Gaumenentwicklung“, wie er es formuliert. Die Leute wüssten teils gar nicht mehr, wie naturbelassene Produkte schmecken, seien zu sehr auf geschmacksverstärkte Convenience-Nahrung getrimmt. In den kulinarischen Sphären, in denen Christoph Zangerl kocht, natürlich ein vollkommenes Sakrileg. Man müsse die Leute wieder für den natürlichen Geschmack schulen, meint der Spitzenkoch. Doch Zangerl sieht insgesamt nicht nur den Konsumenten gefordert, sondern nimmt auch die regionalen Produzenten in die Pflicht, sich wieder stärker auf alte Obst- und Gemüsesorten abseits der Allerweltsware rückzubesinnen. „Selbstverständlich muss das dann die Gastronomie auch abnehmen, sonst macht das ökonomisch keinen Sinn.“ Zangerl ist der Meinung, dass sich Österreich noch stärker als Gastronomieland positionieren müsse, wie das etwa Spanien und Frankreich mit ihrer Küche vorgemacht hätten. Seinen Zugang zur Hausmannskost beschreibt er wie folgt: „Ich bin mit dieser Kost aufgewachsen und das spiegelt sich auch in meinen Gerichten wider, wenn auch in entschlackter, moderner Form. Ei, Rindertalg, Lauch, Steinpilze, Brennnessel – das sind die Zutaten für eines dieser Gerichte, die alle hier zu bekommen sind.“ Ausschlaggebend ist und bleibt aber die Wertschätzung des Produkts. Ganz gleich, ob es sich um Kaviar, Hummer und Trüffel  oder Kalbsherz, Goderl, Steinpilz und Brennnessel handelt. Denn schließlich kann nur ein gutes Ausgangsprodukt in den richtigen Händen zu einem sensationellen kulinarischen Gesamtkunstwerk werden.Marian Kröll

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Zur Person
Christoph Zangerl wurde der Kochlöffel quasi in die Wiege gelegt. Vater Sepp Zangerl kochte schließlich im Hospiz Arlberg. Der kreative Kopf verbindet gekonnt so manche auf den ersten Blick als gegensätzlich empfundenen Geschmackssensationen. Dem Gault Millau waren Zangerls Kreationen im Tannenhof gleich im ersten Anlauf drei Hauben wert. Davor erkochte sich der Tiroler Spitzenkoch mit reichlich internationaler Erfahrung im Interalpen-Hotel Tyrol in Telfs regelmäßig verschiedene Auszeichnungen.